Porsche 718 Spyder RS im Test: Braucht's den wirklich? (2024)

Was ist das?

Verabscheuen Sie Stille? Klagt Ihr Gehörgang ständig über gähnende Langweile? Hassen Sie Drehzahlen unter Siebeneinhalbtausend? Dann sollten Sie dringend über den Erwerb dieses Kraftfahrzeugs nachdenken. Bevor der Boxster elektrisch wird, hat Porsche beschlossen, die Ohren dieser Welt nochmal so richtig zum Hyperventilieren zu bringen. Mit dem wohl prächtigst intonierenden Auto der jüngeren Vergangenheit.

Aber natürlich kann diese ultimative Ausbaustufe des kleinen Porsche-Roadsters noch ein bisschen mehr, als uns allen hochpräzise die Lauscher abzumontieren. Im Prinzip sehen wir hier die Al-Fresco-Variante des 718 Cayman GT4 RS. Dass es den überhaupt gibt, ist ja schon eine der Verrücktheiten unserer Zeit.

Aber die GT-Boys aus Weissach müssen ja immer noch einen draufsetzen. Käfig und etwas Ernsthaftigkeit raus, unbegrenzter Himmel rein. Und wo der Boxster vor 27 Jahren mit 204 PS startete, steht nun ein Carbon-geschwängertes Supercar mit 500 PS-Rennmotor aus dem 911 GT3 (der fast 1:1 auch im GT3 Cup zum Einsatz kommt). Es ist obendrein der erste dachlose RS seit 1973.

In liebenswert-nerdiger Porsche-Tradition hat man absurde Extra-Runden gedreht, um den ikonischen 9.000-Touren-Sauger im Spyder unterzubringen. Sehen Sie die Lufteinlässe auf den Schultern des Autos? Die hat auch der GT4 RS. Warum? Weil die GT3-Maschine deutlich mehr Frischluft benötigt als der ebenfalls 4,0 Liter große Motor im "normalen" GT4 und Spyder.

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Hätte man auch weglassen können das mit der Luft, aber dann würden 40 bis 50 PS fehlen und sowas kommt dem GT-Chef Andreas Preuninger aber gleich überhaupt nicht in die Tüte. Beim Coupé war's kein Problem, beim Spyder RS hätte man allerdings das komplette Verdeck neu konstru ... ääääh Moment, genau das hat man ja gemacht.

Der neue Stofffetzen - im Fachjargon "Sonnensegel mit abnehmbarem Wetterschott" - wiegt lediglich acht Kilo. Mit all der Mechanik unten drunter sind es 18,5. Zum Vergleich: Das Verdeck im normalen Spyder kommt auf 26,1 Kilo, im Boxster sind es 34,8. Alles in allem bringt es der Spyder RS auf 1.410 Kilogramm. Das ist in zweierlei Hinsicht bemerkenswert, denn erstens ist er damit 40 Kilo leichter als der 718 Spyder (Motor wiegt weniger, mehr Carbon). Und - noch krasser - sogar fünf Kilo leichter als der GT4 RS.

Mit letzterem hat er recht viel, aber beileibe nicht alles gemeinsam. Die Hauptunterschiede sind bei Aerodynamik und Fahrwerk zu verorten. Wie Sie sicher schon fachmännisch erkannt haben, verzichtet der Spyder RS auf einen monumentalen Heckflügel. Ich meine, so einen Heckflügel am offenen Gefährt kann man schon machen, besonders attraktiv ist es in aller Regel aber nicht. Also Entenbürzel statt Flügel. Wobei das hier schon eher eine 15-Kilo-Gans ist, die da hinten an der Motorhaube dran hängt.

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Aber selbst die dickste Gans downforciert nicht so motiviert wie der Schwanenhals-Wing des GT4 RS, also musste vorne am Frontsplitter auch ein bisschen was weg. Vier Zentimeter um genau zu sein. Damit es wieder passt mit der Balance. Sonst wird der liebe RS-Spyder nämlich vorne zu klebrig und hinten dafür instabil, wenn man ein bisschen rapider unterwegs ist. Jetzt liegen die Abtriebswerte vorne und hinten relativ gleichauf und das bei ungefähr Null. Aber seien Sie unbesorgt, denn so mörderviel Downforce generiert der GT4 RS auch nicht.

Fahrwerk? Vom Prinzip her gleich, was Kinematik, Lager und Co. betrifft. Aber weil der Spyder kein bierernster Rundenzeiten-Hobel ist sondern ein "Oldschool Drivers Car für die Straße" (O-Ton Herr Preuninger), wurde ein etwas zivilisierterer Umgang mit den Bandscheiben angeordnet. Bedeutet: Federraten halbiert (für die Zahlen-Liebhaber: 45 statt 100 N/mm vorne, 80 statt 140 hinten), Charakteristik der dreifach verstellbaren Dämpfer entsprechend angepasst.

Innen gibt's ganz viel Alcantara an Armaturenbrett, Lenkrad und so weiter. Auch hier kann ein Weissach-Paket gebucht werden. Es umfasst Prägungen auf den Sitzen, Titan-Endrohrblenden und haufenweise Carbon außen, was dem Auto optisch wirklich sehr gut tut. Außerdem schaltet es die optionalen Magnesium-Felgen frei, die 10 Kilo leichter sind als die Serien-Alus.

Los geht's bei 155.575 Euro, was zugegebenermaßen etwas enthemmt wirkt für einen Boxster. Vor allen Dingen, weil der 718 Spyder, seines Zeichens immerhin mit einem 420-PS-Sauger versehen, gut 55.000 Euro weniger kostet.

Da stellt sich die Frage ja quasi von selbst: Brauch ich das oder ist das nicht ein Stück weit Overkill?

Ja gut, berechtigter Einwand. Vor allem, weil ich das Verdeck jetzt komplett von Hand runter- und wieder draufpfriemeln muss. Da ist das semi-automatische Dach des herkömmlichen 718 Spyder ja der reinste Wellness-Urlaub.

Bevor die drehzahllüsternen Journalisten die heiligen Schlüssel in die Hand bekamen, wurde das beim Fahrtermin auch nochmal straff trainiert. Wer sich nicht all zu dämlich anstellt, kriegt das vorzüglich ausgeklügelte Mützchen allerdings in einer guten Minute (de-)installiert. Der smarte Asket stopft das Ding dann auch nicht hinten in die Ablage, sondern lässt es daheim und verbessert das Leistungsgewicht um 0,04 Kilo/PS ;)

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Wetterunabhängig sehr empfehlenswert: Das Wetterschott ein gutes Wetterschott sein lassen und es in den Kofferraum verbannen. Selbst wenn die Welt komplett untergeht, wie beim Fahrtermin für gut 10 Minuten geschehen, ist die Inkontinenz des RS nahe Null. Viel wichtiger aber: Die seitlichen Ansaugtröten, offiziell extrem erregend als Prozesslufteinlässe tituliert, liegen nun völlig frei am Hörorgan der Insassen und der haarklein orchestrierte Audio-Wahnsinn kann sich ungehindert seinen Weg bahnen.

Das Irritierende am Chef-Boxster ist ja: Wir haben es hier fahrdynamisch mit so ziemlich dem besten zu tun, was der Markt derzeit hergibt. Trotzdem werden Sie 80 Prozent der Zeit nichts anderes machen als johlend, grunzend und debil lachend auf all die wilden Geräusche zu reagieren, die ihm so entfleuchen.

Sie können hier, und das habe ich in dieser Form auch noch nicht erlebt, rein mit dem Gaspedal ihre eigene Symphonie kreieren. Das Klangportfolio dieses Autos umfasst mehr Farben als das Lackier-Center von Rolls-Royce.

4.000 Touren im Fünften? Gluckert und rotzt schon sehr ordentlich. 6.000 Touren im Vierten? Das füllige Geschrei geht nahtlos in die wilde Säge über! Ach komm schon, doch nochmal runter in den Dritten und das Handtuch auswringen bis bei 9.000 U/min Sternchen von den Ohren direkt vor die Augen wandern? Jaaaaa bitte!!! Die Säge ist jetzt zur Kreissäge mutiert, die gerade alle Nerven verliert und vermutlich gleich explodiert. Hach, herrlich. Und vergessen Sie mir bitte nicht die Zwischengas-Peitschen bei jedem runterschalten. Da schwingt die Fahrspaß-Domina ihr Werkzeug direkt im Trommelfell.

Kann man den ganzen Tag machen, es wird nicht langweilig. Und ich gehe mal davon aus, dass sich das auch nach Jahren nicht ändert. Aber ich kann ja erzählen, was ich will, hören Sie sich diese perfekt komponierte Anarchie einfach selbst an, in diesem nicht sehr professionellen aber sehr authentischen Video direkt vom Fahrtermin.

Kleiner Tipp noch: Lassen Sie beim Offenfahren unbedingt das Windschott zwischen den Überrollbügeln drin. Es hilft, die Luft in der Kabine zu stauen und verbessert den Sound ungemein. Der RS klingt dann noch wuchtiger und markanter.

Okay, offensichtlich klingt er ganz gut. Fährt er denn auch so?

Es dürfte wenige, sehr wenige automobile Erlebnisse geben, die intensiver sind als das im Porsche Spyder RS. Mit dem Cayman GT4 RS war es ja schon Zeit für die "große Party auf der 718-Plattform" (einmal mehr O-Ton Andreas Preuninger). Und jetzt fliegt auch noch das Top weg.

Natürlich sind auch hier die blanken Zahlen mehr als abgefahren: Von 0-100 km/h geht's in 3,4 Sekunden (der Spyder mit PDK braucht 3,9 Sekunden), die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 308 km/h. Damit hätten wir das abgehandelt. Egaler könnte es kaum sein.

Denn eigentlich sollte man bei diesem Auto nur eins messen: Wie lange Mundwinkel absurd weit nach oben gezogen werden können, bevor sie irgendwann dort festwachsen. Es ist davon auszugehen, dass die Medizin sich bald mit diesem Thema auseinandersetzen muss. Oder eher mit der postspydermatischen Depression, wenn der gehypte Pilot wieder in ein anderes Auto umsteigt.

Es ist unmöglich, nicht sofort komplett eingenommen zu sein. Natürlich vom Klang. Aber auch von der Unmittelbarkeit und Exaltiertheit des Antriebs. Ja klar, untenrum - was hier bedeutet: so bis 5.000 Touren - ist die Motivation jetzt nicht "drei Red Bull auf Ex". Das wissen wir. Das macht auch nix. Es ist ja nur das Warmlaufen für all die Großartigkeiten, die folgen. Halten Sie die Drehzahl oben und die Reaktionen sind absolut ansatzlos.

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Das Auto verleitet durchgehend dazu, es richtig ranzunehmen, zu drehen, drehen, drehen. Und je mehr man das macht, desto besser wird es. Die Übersetzung ist auch glücklicher als im normalen Spyder. Der zweite Gang taugt endlich für enge Kurven. Der Dritte ist schon ab Hundert präsent, zieht sich allerdings bis 160 Sachen. Neben dem Gehör ist also auch der eigene Führerschein in permanenter Gefahr. Vor allem, weil man kaum Möglichkeiten hat, sich dagegen zu wehren. Durch die völlig hemmungslose Soundkulisse ist die Magie zwischen 7.000 und 9.000 Touren nochmal deutlich größer als etwa im aktuellen 911 GT3.

Die Vereinigung zu einem der ganz ganz großen Fahrerlebnisse unserer Zeit passiert schließlich durch die unfassbare Güte, Präzision und Gewichtung aller weiterer Kontrollen. Lenkung, Bremse (in meinem Fall die Stahl-Anlage), Sitzposition, Pedalgefühl - alles fühlt sich einfach so richtig an. Jeder Input sorgt für eine Reaktion, die man sich genau so erhofft hat. Als hätte man einen ausgedehnten Termin beim Fahrgefühl-Maßschneider gebucht. Da ist so ein Porsche GT-Fahrzeug derzeit einfach besser als jedes andere. Und dann ist die Flunder zu allem Überfluss noch nicht mal sonderlich hart.

Die komfortablere Auslegung gegenüber dem GT4 RS ist nicht von der Hand zu weisen. Die Fähigkeit, noch mehr mit der Straße (auch mit einer schlechten) zu fließen, ebenfalls. Selbst fiesere Stöße bringen das Auto nicht aus dem Flow. In der Theorie wächst auch die Traktion durch die weichere Fahrwerkseinstellung noch ein bisschen, aber da müssen Sie den Wagen schon ordentlich anzünden, um in diese Bereiche vorzudringen.

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Generell gibt sich der cupbereifte Spyder RS nämlich überraschend handzahm und sehr traktionsstark. Selbst bei nasser Fahrbahn. Natürlich werden Sie ihn heroisch quer fahren können, wenn Sie das wollen/können. Oder die traumhafte Balance an der Schwelle zum Limit spüren, wenn Sie ihn leicht rutschend mit einem kurzen Gegenlenker zurück in die Spur werfen und sich dann mit Pauken, Trompeten und viel Rambazamba auf die nächste Gerade rausschießen.

Aber das Wunderbare an diesem Auto, und das, was heute in dieser Leistungsklasse kaum einer mehr so richtig hinkriegt, ist ja: Es ist so viel Feeling und Charakter vorhanden, dass man nicht zwangsläufig halsbrecherische Geschwindigkeiten oder eine Rennlizenz benötigt, um ganz intensiv ins Erlebnis einzutauchen.

Aber es gibt kein Schaltgetriebe, als Enthusiast fühle ich mich persönlich beleidigt!

Kommen Sie drüber weg! Natürlich wäre die Coolness- und Erlebnis-Skala mit einem Handschalter komplett explodiert, allein schon, weil der normale Spyder über so ziemlich das beste Schaltgetriebe aller Zeiten verfügt. Aber es passt einfach nicht dran an den neuen Motor. Punkt.

Außerdem ist "RS" schon seit Jahren Handschalter-freie Zone. Ist halt Philosophie. Und das ist bei der Qualität des Doppelkupplungsgetriebes wirklich mehr als verschmerzbar. Es beamt die Gänge nur so rein. Und das auch mit unerhört viel Schmackes und Tamtam. Das fetzt schon richtig gut. Glauben Sie mir.

Fazit: 10/10

Um die Eingangsfrage zu beantworten: Ja, es braucht ihn wirklich! Ja, ja und nochmal ja! Der 718 Spyder ist ein ganz und gar wunderbares Gefährt. Aber das hier ist in puncto Performance, Leistungsentfaltung und vor allem beim Sound (wo der 981 GT4 und Spyder definitiv besser waren als das Facelift) ein komplett anderes Level, eine ganz neue Erlebnis-Stufe.

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Es wird ja aufgrund der politischen Regulierungswut nicht mehr viele solcher technischer und emotionaler Heldentaten geben. Im Fall des 718 ist es wirklich das letzte Hurra. Porsche hat beschlossen, das Allerbeste bis zum Schluss aufzuheben. Mehr geht nicht. Wenn Sie können, sichern Sie sich dieses offene Meisterwerk.

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